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Jaeggi, Eva: Und wer therapiert die Therapeuten?, Stuttgart 2001, 227 Seiten


Besonders gut ist der Titel eigentlich nicht gewählt, legt er doch nahe, daß Kranke sich zu Therapeuten aufschwingen. Es ist dann nicht mehr weit zum Diktum von Karl Kraus, wonach die Psychoanalyse die Krankheit sei, für deren Therapie sie sich ausgebe. 

Die Autorin, selbst von der Verhaltenstherapie kommend, in höherem Alter noch die Mühen einer psychoanalytischen Weiterbildung auf sich nehmend, befaßt sich dann differenziert mit der Problematik seelischer Gesundheit in diesem hoch infektiösen Beruf.

Wenn es auch Menschen in diesem Feld gibt, die 40 Stunden in der Woche psychotherapeutisch tätig sein können, so schließt sie dies für sich aus. Sie bekennt, gerne Psychotherapeutin zu sein, ist aber zugleich froh, nicht ausschließlich damit ihren Lebensunterhalt bestreiten zu müssen. Die permanente Konfrontation mit dem Innenleben anderer, die ewige Kontrolle der eigenen Gefühle, die tägliche Begegnung mit den oft negativen Emotionen der anderen, verlangt nach einem ausgleichenden Schwergewicht, das Jaeggi für sich in der wissenschaftlichen Arbeit gefunden hat. Und in diesem Feld, ein universitäres Projekt über den "Beruf der Psychotherapeuten", entstand denn auch der vorliegende Text.

Damit ist ein wesentliches Moment, die eigene Gesundheit zu erhalten, bereits genannt. In erfreulicher Offenheit schildert Frau Jaeggi ebenso eine der größten Gefahren: Der dem priesterlichen Vorbild nahestehende Größenwahn, der sich im therapeutischen Furor Bahn bricht, bei entsprechender Konfrontation mit dem real Möglichen, dem Kleinheits- und Minderwertigkeitsgefühl anheim fällt. Darin scheint der Kern des Burnout beim Psychotherapeuten zu liegen. Der hilflose Helfer ist noch die freundlichste Umschreibung dieses Sachverhaltes.

Unstrittig ist inzwischen, daß die therapeutische Beziehung das eigentlich Heilsame in der Psychotherapie ist. Was diese Beziehung jedoch ausmacht, ist durchaus unklar. "'Alle, die ich als gute Analytiker schätze, sind auch privat gut beziehungsfähig', meinte ein alter, erfahrener Psychoanalytiker, den ich selbst befragt habe; nicht lange nachher allerdings erfuhr man, daß sein bester Analytiker-Freund nicht nur ein Verhältnis mit einer Patientin angefangen hatte, sondern daß dessen Ehefrau sich in der Institutsöffentlichkeit recht eindeutig über die dubiosen Beziehungsqualitäten ihres Mannes ausgelassen hatte." (63f) Also alles Scharlatane? Beleg dafür, daß Psychoanalytiker keine Menschenkenntnis haben? 

Jaeggi versucht sich der Persönlichkeit des Therapeuten - mit aller Vorsicht - über vier Typen zu nähern. Da gibt es die Idealisierer, die in allen Schulrichtung angetroffen werden können; ferner die Anhänger der "Rogers-Variablen" Wärme, Akzeptanz, Einfühlung und Echtheit; die distanzierten Skeptiker, die sich nicht hineinziehen lassen wollen und schließlich die Abgebrühten, die nicht weit entfernt sind vom Zynismus.

Um der Verausgabung durch ständige Empathie zu entgehen, bedarf es des Ausgleiches im Privaten. Leider stehe es damit bei der Zunft auch nicht zum Besten. Und wie wäre es mit Supervision? Sie schade nicht, sei aber auch kein Allheilmittel, zumal die Darstellungen der Fälle aus den unterschiedlichsten Motiven geschönt werden.

Blieben noch die eher verkrampften Feste unter Psychoanalytikern, die sehr lockeren unter Gestalttherapeuten zu erwähnen - und man wendet sich ab mit Grausen?

Insgesamt entsteht eher ein Negativbild, das dem Klischee in der Bevölkerung sehr nahe kommt. Nimmt man noch die Machtspiele und den Machtmißbrauch in allein seinen Facetten hinzu, dann wundert man sich, wieso immer noch so viele Gesundungen durch Behandler aller Richtungen zustande kommen. Und diejenigen, die an den möglichen, allzumenschlichen Bemühungen scheitern, wenden sich von erkenntniskritisch-aufklärerischer Psychotherapie den höheren Weihen der Esoterik zu, um so den Druck von Verantwortlichkeit und menschlicher Beschränkung loszuwerden. 

Fazit: Auch Psychotherapeuten sind Menschen. Und wenn sie nicht die höheren Weihen haben wie die Priester, die diese selbst dann behalten, wenn ihr privates Leben nicht vorbildlich ist, dann sollten sie sich inne bleiben, daß sie Mittels wissenschaftlicher (bei Leibe nicht nur naturwissenschaftlicher) Erkenntnisse der Menschheit versuchen einen gangbaren Lebensweg zu finden; für sich selbst und Hilfestellung gebend für ihre Patienten. Letztlich bedeutet dies, die eigene Persönlichkeit zu entwickeln und zu entfalten, also zu streben, nicht perfekt sein zu müssen.

Im ganzen scheint mir das Buch die Enttäuschung der Autorin widerzuspiegeln: "Alles in allem war ich von vielen Interviews enttäuscht, weil ich das Gefühl hatte, hier wurde vor allem das Gesicht gewahrt und nicht die Gelegenheit wahrgenommen, offen über einen schwierigen Beruf zu sprechen... Trotz langjähriger Erfahrung in diesem Berufsfeld und gegen alle Erfahrung habe ich gedacht, daß Psychotherapeuten vielleicht, wenn man sie nur lange genug befragt, allgemeinmenschliche 'Weisheiten' zutage fördern würden." (24) So etwas habe sie noch am ehesten bei Yalom oder Bugental gefunden. Verwunderlich, daß Frau Jaeggi bei ihren Recherchen nicht auf den Großgruppentherapeuten Josef Rattner gestoßen ist, der immerhin in derselben Stadt lebt und praktiziert und sicher als einer der philosophischen Köpfe unserer Zunft bezeichnet werden kann. Hier hätte sie einiges finden können - natürlich in menschlicher Form. Greifen hier wohl die Vorurteile der Autorin, die sie sonst den sie enttäuschenden Kolleginnen und Kollegen attestiert?


Bonn, August 2004
Dipl.-Psych. B.Kuck 

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