Thomas Grasberger, Franz Kotteder: Mobilfunk. Ein
Freilandversuch am Menschen. Verlag Antje Kunstmann (München), 2003, 285 S.,
broschiert, 19,90 Euro ISBN: 3888973295
Millionen Menschen telefonieren mobil. Dagegen kämpfen ein paar kleine, aber
äußerst hartnäckige Gruppen mit dem Argument, Mobiltelefonie sei
gesundheitsschädlich. Bürgerinitiativen, deren Mitglieder alle Handys haben
dürften, wehren sich gegen den Neubau von Sendeantennen in Sichtweite.
Elektromagnetische Wellen des Mobilfunks sollen Gehirntumore auslösen und überhaupt
für eine ganze Reihe von Krankheiten verantwortlich sein. Viele Menschen sind
nach Erfahrungen mit tatsächlichen oder vermeintlichen Umwelt- und
Lebensmittelskandalen zunehmend misstrauisch.
Doch Gefühle sind zu wenig, um sich ein Urteil zu bilden. Eine Analyse des
vorhandenen Wissens wäre höchst wünschenswert. Die beiden Münchner Journalisten und Autoren Thomas Grasberger und Franz Kotteder scheinen mit
ihrem Buch dem Leser
einen kritischen Überblick über aktuellen Stand der Debatte an die Hand
geben zu wollen. Sie erklären nicht nur ausführlich die Technik, sie versprechen auch, die unterschiedlichen Meinungen zu Wort kommen zu lassen und
Ergebnisse in der Schwebe zu halten, wenn Eindeutiges noch nicht zu vermelden
ist. Auf der Basis von Tatsachenwissen wollen sie Orientierung geben.
Sie erklären die geheimnisvollen, möglichen nicht-thermischen Effekte der
elektromagnetischen Wellen, erläutern die geltenden Grenzwerte und stellen
die relevanten Studien vor. Die Rolle der Kommunen bei der Genehmigung von
Mobilfunkanlagen kommt ebenso zur Sprache wie die aktuelle Rechtsprechung. Sie
heben hervor, dass bei so geringen Effekten ein Beweis für die Schädlichkeit
elektromagnetischer Wellen praktisch nicht zu führen ist. 5000 Studien, und
nach wie vor fehlen handfeste Belege. Aus diesem Grauschleier undeutlicher
Ergebnisse greift sich jeder heraus, was ihm passt.
So beeindruckend umfangreich ihre Recherche ist, ihrem selbst gesetzten
Anspruch werden die beiden Autoren kaum gerecht. Ist die Situation unklar, schlagen sie sich letztlich auf die Seite der Kritiker. Sie könnten genauso
gut die vorläufige Unbedenklichkeit der gesetzlich begrenzten Mobiltelefonie
erklären. Welche Haltung man einnimmt, scheint somit beliebig. Beide Seiten
haben ihre Experten und Studien, die sie ins Feld führen. Die
elektromagnetische Strahlung wird mit den UMTS-Sendemasten noch einmal erhöht.
Das ist zum Teil richtig, die Erhöhung beträgt jedoch nur ein Bruchteil
dessen, was ohnehin an Sendeleistung seit Jahrzehnten existiert.
Von den Wirkungen weiß man nichts? Das ist falsch. Tausende von
biologischen Versuchen und Hunderte von Studien erbrachten bislang keinen
wirklichen Beweis für eine Gesundheitsschädigung. Die elektromagnetische
Strahlung liegt bis zum tausendfachen über dem Magnetfeld der Erde, schreiben
die Autoren. Das scheint falsch. Die WHO empfiehlt, 100 MikroTesla nicht zu überschreiten.
Magnetische Flußdichten unter 100 Mikrotesla gewährleisten sicher, daß Körperstromdichten von 2
mA/m2 nicht überschritten
werden. Zum Vergleich: Das statische Magnetfeld der Erde hat etwa 32 mA/m2. In
Bayern wurden knapp 2000 repräsentativ ausgesuchte Personen genauestens
ausgemessen: Sie waren einem Mittelwert von 0,1 Mikrotesla ausgesetzt.
Der Leser mag noch hinnehmen, dass die beiden Autoren eine globale
Abneigung gegen "die Industrie" und "die Mobilfunk-Lobbyisten" aufbauen
und all jene umstandslos für gekauft und korrupt halten, die der
Mobiltelefonie die Unbedenklichkeit bescheinigen. Ärgerlicher ist, dass sie
mehr handwerkliche Fehler machen, als nötig wären. Sie greifen auf Einzelfälle
zurück, doch die sind wertlos, wenn sie keine sorgfältige Krankengeschichte,
keine Differenzialdiagnose (d.h. Ausschluss aller anderen Krankheitsquellen)
und keine Langzeitbeobachtung beinhalten. Geht es um Epidemiologie und
Statistik, tappen Grasberger und Kotteder in die üblichen Fallen.
Es bleibt nach der Lektüre unklar, warum Menschen bei Strahlungsdichten,
die ein Zehntel oder ein Fünfzigstel unter den Grenzwerten liegen, schwer krank werden. Dieses Buch kann den Streit nicht lösen. Eine abgewogene,
rationale Auseinandersetzung zur Mobiltelefonie ist dieses Buch gewiss nicht,
obwohl es teilweise diesen Eindruck zu vermitteln versucht.
Bleibt die psychologische Frage, warum einige Menschen so allergisch auf
Mobiltelefonie reagieren. Die Antwort scheint einfach. Ein kleinerer Teil der
Bevölkerung (rund 3 bis 4 Prozent) verfügt über ein gewisses
Angstpotenzial, das sich einen Anker sucht. Diese Menschen greifen sich eine
vermeintliche Gefährdung heraus und beginnen, dagegen anzukämpfen. Ein
"Ausstieg" aus der Mobiltelefonie hätte kaum einen Sinn; die Ängstlichen
würden sich andere Angstgegner suchen.
Gerald Mackenthun
Berlin, März 2003
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