Die Autorin verlangt mehr Echtheit vom Therapeuten als Übereinstimmung mit einem Manual von Leitlinien (81). Sie verschweigt jedoch, dass der Terminus „Echtheit“ besonders von der Gesprächspsychotherapie in die Debatte eingeworfen wurde.
Das
Alpha und das Omega im Umgang mit Trennungsaffekten ist die Fähigkeit
des Therapeuten, die eigenen Affekte regulieren zu können.
Gegenagieren, z.B. in Form aggressiver Deutungen, abruptem Beenden
der therapeutischen Beziehung u.ä. stellen den Erfolg der
Behandlung in frage oder führen gar zu einer Retraumatisierung
des Patienten. Jede Form theoretisch geleiteter oder bloßer
technischer Korrektheit ohne emotionale Beteiligung und Beweglichkeit
des Therapeuten („affektive Arteriosklerose“, Greenson)
führt zu Schäden und verkennt den wesentlich künstlerischen
Charakter psychotherapeutischen Handelns.
Die Autorin gibt der
Trennungsangst bei Beendigung der Therapie den etwas hochtrabenden
„eigenständigen Begriff der 'Angst vor dem Ende'“;
ohne dies auszuführen, berührt sie hier eine
anthropologisch-existentielle Dimension, die z.B. besonders Irvin
Yalom thematisiert hat, dessen Werk „Existentielle
Psychotherapie“ sie anscheinend nicht rezipiert hat, indes sie
die 'in Mode gekommenen' Texte Yaloms im Literaturverzeichnis
aufführt. Dies zeigt meines Erachtens die Problematik sogenannten
wissenschaftlichen Arbeitens, bei dem eine Fülle von Literatur
lediglich nach Stichworten und Kapitelüberschriften durchforstet
wird, wie dies modene Datenbank gestützte Recherche heute
ermöglicht. Überhaupt zeigt sich bei der Autorin ein Mangel
an philosophischer Reflexion, der wiederum dem
naturwissenschaftlichen Verständnis medizinalisierter
Psychotherapie geschuldet sein dürfte, von dem sich Frau
Rieber-Hunscha – trotz Statement für den wichtigen,
kulturerhaltenden Horizont der Psychoanalyse –, nicht
freimachen konnte. Nicht nachvollziehbar war mir, dass die
Ambivalenz, die für die Gefühlszustände in
Trennungssituationen charakteristisch ist, begrifflich aus der
Fachliteratur verschwunden sein soll. Sowohl im „Kritisches
Wörterbuch der Tiefenpsychologie für Anfänger und
Fortgeschrittene“ (Rattner, Berlin/München 1994), als auch
bei Wöller/Kruse, „Tiefenpsychologisch fundierte
Psychotherapie (Stuttgart 2005) wird man sofort fündig
(Stichwortregister).
Ein
wichtiges Kapietel befasst sich mit den Zielen und Ergebnissen der
Psychotherapie, die in der Abschlussphase gemeinsam mit dem Patienten
reflektiert werden sollten. Die von vielen Psychanalytikern
fromulierten lapidaren Sätze, „der Weg ist das Ziel“
und „das Therapieende beginnt schon am Anfang“, werden
kritisch hinterfragt. Sie können nur Gültigkeit haben für
eine selbstfinanzierte Analyse, die vorrangig der Selbsterkenntnis
dient und nicht der Patientenbehandlung mit externem Kostenträger,
der natürlich einen effizienten Einsatz der Mittel erwartet. Der
Vorwurf, die Psychotherapie werde so zum bloßen
Reparaturbetrieb gesellschaftlich unreflektierter Mißstände,
wird dabei von der Autorin mit Verweis auf Wilhelm Reich und Siegfried Bernfeld nur
kurz angerissen. Letztlich scheint sie selbst dem medizinischen
Reparaturdenken verhaftet. Ebenso unkritisch empfiehlt sie daher die
Ergebnisüberprüfung mit Hilfe der „Psy-BaDo“
(der „Basisdokumentation für psychische, psychosoziale und
psychosomatische Kontakte“ - schon der Name ist
technokratisches Programm!), die hinsichtlich ihres Einsatzes in der
ambulanten Psychotherapie sehr kontrovers diskutiert wird.
Die
Reflexion in der Abschlussphase über Erreichtes und nicht
Erreichtes kann für Patienten wie Therapeuten mit narzisstischen
Kränkungen verbunden sein, ist für eine realistische
Einschätzung in Verpflichtung zur Aufrichtigkeit, ohne die
Psychotherapie sowieso nicht möglich ist, jedoch unabdingbar.
Eine realistische Einschätzung ist schließlich auch eine
gute Prophylaxe gegen weitere Kränkungen. Die Aufgabe
unrealistischer Ziele kann neue Energien für Erreichbares
freisetzen und zu mehr Lebenszufriedenheit führen.
Die
Autorin postuliert eine „Nachforschungsangst“ (Ticho) bei
Psychotherapeuten, die u.a. der Aufrechterhaltung eigener Illusionen
geschuldet sein kann. In diesem Zusammenhang problematisiert sie die
Fortführung von Therapien gleichsam auf Schleichwegen im Kassensystem, um der
Konfrontation mit Erfolglosigkeit oder Therapieresistenz aus dem Wege
zu gehen (199), wobei Frau Rieber-Hunscha trotz berechtigter Kritik für meinen Geschmack hier zu sehr pauschaliert.
Positiv
ihr Plädoyer für ein schulenübergreifendes Vorgehen
bei der Nutzung unterschiedlicher Techniken zur Angstreduktion und
-exposition, wenngleich sich Frau Rieber-Hunscha auf die Verfahren
der Richtlinienpsychotherapie beschränkt.
Erfreulich auch,
das die Autorin die Notwendigkeit der Reflexion von eigenen
Trennungsängsten bei den Therapeuten hervorhebt, die allerdings
für einen analytisch-dynamisch Orientierten selbstverständlich
sein sollte.
Peinlich berührt ist der Leser, wenn die Autorin
ein Kapitel als überarbeiteten Aufsatz kenntlich macht, in dem
sie dann den Aufsatz nochmals als Literaturangabe aufführt
(105).
Dass die Überwindung der Schulenbegrenzung durch
schulenübergreifende curriculare Ausbildung möglich sein
könnte, ist ja in der staatlichen Prüfung zum
Psychotherapeuten anvisiert. Das Frau Rieber-Hunscha dies allein
durch den Facharzt für Psychotherapeutische Medizin
gewährleistet sieht, eröffnet ein neues dogmatisches Feld,
worin sich möglicherweise die Ängste der ärztlichen
Psychotherapeutin bekunden, gegenüber den psychologischen
Psychotherapeuten ins Hintertreffen zu geraten. Diese Kinderspiele
sollten doch endlich überwunden werden. Es gibt nur noch
PsychotherapeutInnen, die aus unterschiedlichen Grundausbildungen
kommen; wobei die Regelungswut ja schon die anderen
Humanwissenschaften (z.B. Anthropologie, Germanistik, Soziologie,
Philosophie) längst vom Zugang zum Beruf des Psychotherapeuten
ausgeschlossen hat. Hier ist die Autorin nicht konsequent, betreibt
sie selbst, was sie geiselt.
Wichtig erscheinen mir die Überlegungen zur postterminalen Phase. Besonders der Patient einer Langzeittherapie benötigt Zeit, sich nach der Beendigung auf die veränderte Situation einzustellen. Aus dem Kollegenumfeld ist mir bekannt, dass in einer ganzen Reihe von Fällen, die Therapie „ausgeschlichen“ wird bis hin zu einem definierten Ende, zu dem ein Termin vom Patienten noch wahrgenommen werden kann. Viele nehmen diesen Termin nicht in Anspruch, sind aber erleichtert, dass es diese Möglichkeit gibt. Das Strecken der letzten Termine ermöglicht es mir z.B., wieder aufbrechende Konflikte nochmals durchzuarbeiten. Bei einer ganzen Reihe von Patienten meiner Praxis ermöglicht diese Vorgehensweise die Erfahrung, tatsächlich selbst konstruktive Lösungen für Konflikte zu finden, ohne die faktische Präsenz des Therapeuten. Geade diese Patienten konnten die therapeutische Beziehung verinnerlichen, gleichsam im Selbstgespräch mit den positiven Objektrepräsentanzen eine Lösung finden. Dieser Akt der Verselbständigung ist für Patienten und Therapeuten sehr beglückend, zumal hier das vornehmste Ziel der Psychotherapie erreicht wurde: Der Therapeut ist nicht mehr notwendig, der Patient geht eigenständig seinen Weg.
Die Kritik am Totschweigen der Beendigungstheamtik (249ff) in der orthodoxen psychoanalytischen Ausbildung stellt einen der wichtigsten Abschnitte dar. Viel zu lange Lehranalysen, die gleichsam die Tabuisierung der Beending mit bedingen, führen nicht selten zu weitreichenden inneren und faktischen Abhängigkeiten gegenüber Ausbildungsinstituten, deren Kandidaten dann ihrerseits wieder große Mühe haben, mit dem Trennungsprozess ihrer Patienten umzugehen.
Frau Rieber-Hunscha begrüßt die Fortbildungspflicht für ärztliche Psychotherapeuten, die nunmehr in der BRD eingeführt ist (258). Hier beteilige ich mich mal an der Polemik: Da war wohl etwas dringend gesetzlich für ärztliche Psychotherapeuten zu regeln, was für psychologische Psychotherapeuten schon immer selbstverständlich war.
Bei
der Lektüre drängt sich der Eindruck auf, dass die Autorin
dem durchaus wichtigen Thema der Beendigung der Therapie eine zu
große Bedeutung beimisst. Dies kann mit einer gewissen
Auswalzung, als Gegengewicht zur Untererrepräsentiertheit in
Beziehung stehen. Zwischen den Zeilen scheint allerdings durch, dass
es sich in hohem Maße um eine persönliche Thematik handeln
könnte, auch eine persönliche Abrechnung, die
möglicherweise aus ihrer Erfahrung mit orthodox geführter
Lehranalyse herrührt.
Häufige Wiederholungen machen die
Lektüre insgesamt eher ermüdend. Die Autorin bewegt sich
meist im Allgemeinen und erweckt den Anschein von Objektivität
durch ihre Tabellen aus der eigenen Praxis (Anhang). Konkrete
Beispiele, wie sie das Beendigungsthema im Umgang mit dem
individuellen Patienten handhabt, bleibt sie dem Leser schuldig.
Lebendigkeit, Vielfalt, Dramatik, Freude und Leid
psychotherapeutischen Geschehens werden steril verpackt dargeboten.
Dem Erfahrenen bietet es wenig, was nicht in einem Aufsatz von 20, 30
Seiten zusammengefaßt ausreichend geschildert werden könnte.
Dem Beginner bietet es wenig, weil die anschauliche Schilderung etwa
in Falldarstellungen fehlt, so dass alles graue Theorie bleibt. Wer
im übrigen etwas über Trennung, lebendig, mit allen
Ambivalenzen geschildert, erfahren möchte, dem sei das Buch von
Noëlle Châtelet („Die letzte Lektion“) empfohlen,
sozusagen als Fleisch ans dürre Skelett.
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Das Beenden der Psychotherapie