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Sigmund Freud: Schriften über Kokain. Herausgegeben und eingeleitet von Albrecht Hirschmüller. Frankfurt a.M.: Fischer Taschenbuch Verlag, 1996. 186 S., 14,90 DM.


Im Jahre 1884 glaubte der damals 29jährige Sigmund Freud, in einem auf dem europäischen Kontinent bis dahin weitgehend unbekannten Alkaloid namens Kokain endlich den Stoff gefunden zu haben, aus dem sich wissenschaftliche Karrieren schmieden ließen, ein wahres "Zaubermittel", wie er seiner Verlobten Martha Bernays versicherte, wirksam gegen allerlei körperliche wie geistige Gebresten. "Er schickte Martha kleine Dosen, ‘um sie stark und kräftig zu machen’, er drängte es seinen Freunden und Kollegen für sie selber und für ihre Patienten auf, er gab es seinen Schwestern", so der Freud-Biograph Ernest Jones (1953) im Rückblick auf diese Zeit. Freud experimentierte auch im Selbstversuch mit der Droge, zu wissenschaftlichen wie privaten Zwecken, etwa um sich damit Magenverstimmungen, Migräne und Müdigkeit zu vertreiben, oder um, wie Jones es geheimnisvoll umschreibt, "Manneskraft zu erlangen und die Seligkeit der Vereinigung mit der Geliebten zu genießen".

In der Folgezeit veröffentlichte Freud eine Reihe von Aufsätzen, die seine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der neuen Droge dokumentieren. Diese sogenannten "Kokainschriften" liegen nun erstmals in gebündelter Form auch in deutscher Sprache vor, sorgsam ediert, kommentiert und eingeführt durch den renommierten Tübinger Medizinhistoriker und Freud-Experten Albrecht Hirschmüller. Ein kenntnisreich zusammengestelltes Literaturverzeichnis bietet einen umfassenden Überblick über den Themenkomplex, ein Namensregister ermöglicht den raschen Zugriff auf die Texte - kurzum, es ist ein Buch, mit dem sich hervorragend arbeiten läßt. Es hätte sogar zu einem wissenschaftlichen Standardwerk über die sogenannte "Kokain-Episode" im Leben Freuds werden können - wäre da nicht das einleitende Essay Hirschmüllers gewesen. Dieses Essay, das den Anspruch erhebt, den historischen Entstehungskontext der Kokain-Schriften Freuds "sorgfältig rekonstruieren" zu wollen, um dem Leser "ein eigenes Urteil" über "den Wert und die Originalität" dieser Schriften zu erlauben (S. 10), ist in Wahrheit ein Sammelsurium an Halbwahrheiten und unbelegten Behauptungen, das den tatsächlichen Gang der Ereignisse eher ver- als erklärt, mit der Absicht und in dem ständigen Bemühen, Freud positiver erscheinen zu lassen, als er es bei nüchterner Betrachtung der historischen Quellen verdient hätte.

So schreibt Hirschmüller etwa über die erste Kokainschrift Freuds aus dem Jahre 1884, sie fasse "die Literatur glänzend zusammen", besteche "durch klare Diktion" und sei "eindrucksvoll und präzise in der Schilderung der eigenen Versuche" (S. 14 f.). Fast nebenbei erfährt der Leser dann jedoch, daß Freud bei seinem Literaturstudium wichtige südamerikanische und die meisten französischen Veröffentlichungen zum Thema entgangen seien, er leichter zugängliche Werke nicht im Original, sondern aus der Sekundärliteratur zitiert habe und sich in die besagte Studie bei alldem auch noch "etliche Flüchtigkeitsfehler, [...] falsch geschriebene Namen, Verwechslungen von Orten und Jahreszahlen und ungenaue Titelangaben", ja selbst eine fehlerhafte Wiedergabe der Summenformel des Kokains eingeschlichen hätten (S. 15). Ganz unter uns: Kann man angesichts derart gravierender Mängel wirklich noch guten Gewissens von einer glänzenden Zusammenfassung der Literatur und einer bestechend klaren Diktion sprechen, einer Diktion übrigens, von der schon Ernest Jones sagte, sie strahle eine "persönliche Wärme" aus, so als sei Freud in den Inhalt der Arbeit, das Kokain, selbst verliebt gewesen?

Auch bei der von Hirschmüller als "eindrucksvoll und präzise" gerühmten Schilderung der eigenen Versuche sind Fragezeichen angebracht. Das Beispiel eines dieser Versuche mag im folgenden genügen. Es handelt sich dabei um einen Morphiumentzug unter Zuhilfenahme von Kokain, da Freud davon überzeugt war, mit dem Kokain auf das Mittel der Wahl bei der Entwöhnung von Morphium gestoßen zu sein. Der Patient sei, so Freud, ein Mann gewesen, "der bei einer früheren Entziehungskur unter den schwersten Abstinenzerscheinungen gelitten hatte. Das Befinden war diesmal ein erträgliches, insbesondere fehlten Depression und Nausea, solange die Cocawirkung anhielt; Frieren und Diarrhöe waren die einzigen permanenten Symptome, welche an die Abstinenz erinnerten. Der Kranke blieb außer Bette und leistungsfähig, und verbrauchte in den ersten Tagen je 3 Decigramm Cocainum muriaticum; nach 10 Tagen konnte er das Mittel beiseite lassen" (S. 79). Von Jones wissen wir, daß es sich bei dem Patienten um einen gewissen Prof. Ernst Fleischl handelte, einen Freund und Kollegen Freuds, der gegen seine Schmerzen infolge einer Daumenamputation Morphium genommen hatte und dabei süchtig geworden war.

Bereits 1953 meldete der Psychoanalytiker und Freud-Biograph Siegfried Bernfeld Zweifel am Wahrheitsgehalt der ganzen Geschichte an: Freuds erster auf dem europäischen Kontinent mit Hilfe des Kokains geheilter Morphinist sei in Wahrheit einer der ersten Kokainsüchtigen Europas gewesen. Hierbei konnte er sich auf persönliche Informationen seines Kollegen Ernest Jones stützen, der sich in seiner Biographie aus demselben Jahr ähnlich über den Fall Fleischl äußerte. Bei Jones erfährt man auch nähere Einzelheiten über den tatsächlichen Verlauf der Kokainbehandlung, wenngleich er sich, was die Rolle Freuds dabei betrifft, sehr zugeknöpft gibt. Jones konnte sich bei seiner Rekonstruktion der Ereignisse auf eine Informationsquelle stützen, die allen anderen Freud-Biographen verwehrt blieb: die sogenannten "Brautbriefe", die Sigmund Freud in den Jahren zwischen 1882 und 1886 an seine Verlobte geschrieben hatte. Diese schätzungsweise etwa 1.000 Briefe aus jener Periode befinden sich heute in der Sigmund Freud Collection der Library of Congress in Washington, und zwar in der unter Kennern berüchtigten "A-Serie", für deren Einsichtnahme man einen schriftlichen Antrag einreichen muß - der jedoch grundsätzlich abgelehnt wird. Aus dieser Korrespondenz sind nur einmal, 1960, etwa 100 Briefe veröffentlicht worden, von einem Sohn Sigmund Freuds, der dabei nicht nur entschied, welche Briefe das interessierte Publikum zu Gesicht bekommen sollte, sondern auch in den Briefen selbst als Zensor auftrat und einzelne Passagen durch drei Punkte ersetzte.

Lange Zeit war diese Auswahl aus den Brautbriefen in Verbindung mit den Biographien Jones’ und Bernfelds das einzige, was die Gralshüter der Psychoanalyse der Öffentlichkeit über diese dunkle Episode im Leben Freuds zumuten mochten. Und man hätte auch heute noch nicht sehr viel mehr gewußt, wäre es nicht dem Amsterdamer Freud-Forscher Han Israëls zu Beginn der 90er Jahre gelungen, im Archiv einer kleinen englischen Firma, die das Copyright Sigmund Freuds vermarktet, etwa 300 Abschriften von bislang unbekannten Briefen Freuds an Martha aufzustöbern (Israëls 1993). Sein Buch, obwohl auf Niederländisch publiziert, sorgte weit über das kleine Sprachgebiet hinaus für Furore. Selbst Hirschmüller nimmt es in seinem Essay - wenn auch mit spürbarem Widerwillen - zur Kenntnis: "Solche Quellen [wie die von Israëls präsentierten; GB] sind zwar problematisch, weil Sätze aus dem Zusammenhang gerissen und Fehllesungen nicht auszuschließen sind. Dennoch kann die Forschung daran nicht vorbeigehen, solange das vollständige Material nicht zugänglich ist" (S. 28).

Vor dem Hintergrund des von Israëls veröffentlichten Briefwechsels zwischen Freud und Martha zeigt sich, daß die Behandlung Fleischls völlig anders verlaufen ist, als Freud es seinen Lesern weismachen wollte - und auch sehr viel dramatischer, als es nach der Lektüre der Freud-Biographie von Jones den Anschein hat. So schrieb Freud seiner Verlobten am 12. Mai 1884, also eine knappe Woche nach Beginn der Entziehungskur: "Mit Fleischl steht es so traurig, dass ich mich der Cocainerfolge gar nicht freuen kann. Er nimmt es fort und es schützt ihn fortwährend gegen den elenden Morphinzustand [...]. Montag früh wollte ich ihn besuchen, aber auf mein Klopfen liess er mich nicht ein, ich kam nun, zwei Stunden später, immer dasselbe. Endlich fassten wir uns, Obersteiner, Exner und ich, ein Herz, nahmen den Schlüssel vom Diener und traten ein. Da lag er ganz apathisch, antwortete nicht auf Fragen, und erst nach etwas Coca kam er zu sich und erzählte, dass er furchtbare Schmerzen gehabt habe. Diese Anfälle greifen schon die Seele an, er kann einmal in einem solchen tobsüchtig werden oder sich umbringen. Ob er in einem dieser Anfälle Morphin genommen, weiss ich nicht, er stellt es in Abrede, aber einem Morphinisten, und selbst wenn es der Ernst Fleischl ist, darf man nicht glauben."

Fleischl hatte also unter weit schwereren Entzugserscheinungen gelitten, als Freud es der Öffentlichkeit glauben machen wollte, ja Freud war sich nicht einmal sicher, ob sein Patient nicht zusätzlich zum Kokain auch wieder zum Morphium gegriffen hatte ("einem Morphinisten darf man nicht glauben"). Am 23. Mai 1884 heißt es in einem Brief Freuds an Martha, Fleischl habe nach einer erneuten Operation am Daumen - 12 Tage nach Beginn der Entziehungskur - "sehr viel Morphin" genommen. Im Oktober 1884 berichtete er ihr, daß Fleischl einen "grossen Cocaverbrauch" habe und es "psychisch noch schlechter als früher" um ihn bestellt sei. Anfang Februar 1885 schreibt er, Fleischl werde "leider immer mehr psychisch verändert; er zeigt eine kleinliche Eitelkeit, mit der er bei sinkenden Kräften die Anerkennung festzuhalten sucht".

Einen Monat später, am 5. März 1885, hielt Freud einen Vortrag, in dem er erneut auf die "- und zwar plötzliche - Morphinentziehung unter Cocain" zu sprechen kam: den Fall Fleischl. Die Angaben, die Freud hier macht, unterscheiden sich allerdings in zwei Punkten von denen aus dem Jahr zuvor: die Entwöhnung hatte dieser neuen Version zufolge nicht 10, sondern 20 Tage gedauert, und auch die tägliche Kokaindosis, die man dem Patienten verabreicht habe, hatte sich erhöht: von 3 auf 4 Dezigramm. Immerhin blieb es aber dabei, daß die Morphinabstinenz nach diesen 20 Tagen überwunden gewesen sei. "Eine Cocagewöhnung trat dabei nicht ein, im Gegenteil war eine steigende Abneigung gegen den Cocaingenuß unverkennbar. Ich würde nach den Erfahrungen, die ich über die Cocainwirkung gesammelt habe, unbedenklich dazu raten, in ähnlichen Entziehungskuren Cocain in subkutanen Injektionen [...] zu geben" (S. 106).

Mit der "steigenden Abneigung" des Entzugspatienten gegen das Kokain tischte Freud seinem Publikum also eine weitere Lüge auf. Mehr noch: in voller Kenntnis dessen, was er bei Fleischl angerichtet hatte, empfahl er es gar - und zwar "unbedenklich" - zur allgemeinen Anwendung.

Von alldem erfährt man bei Hirschmüller nur andeutungsweise. Zum Zeitpunkt des oben erwähnten Vortrags habe Freud noch nicht klar gesehen, daß Fleischl kokainabhängig geworden war. "Allerdings scheint er schon etwas davon geahnt zu haben: Bei der Darstellung der Entziehung Fleischls gab er jetzt als Zeitraum bis zur Kokainfreiheit 20 statt 10 Tage und als Tagesdosis 0.4 statt 0.3 g an." (S. 30). Die "volle schmerzliche Wahrheit", so Hirschmüller weiter, habe Freud jedoch erst Ende Mai 1885 erkannt, "wenige Wochen, nachdem sein Vortragstext erschienen war" und somit zu spät, um den Text entsprechend zu korrigieren.

Mit seiner "Erklärung" dessen, was ein unvoreingenommener Autor wohl als nachträgliche Fälschung der Behandlungsdaten durch Freud bezeichnet haben würde, mutet Hirschmüller der Intelligenz seiner Leser einiges zu. Doch einmal abgesehen davon: wie erklärt es sich Hirschmüller eigentlich, daß Freud im Jahre 1887 - drei Jahre nach der mißlungenen Behandlung Fleischls und zwei Jahre nach dem angeblichen Erkennen der "vollen schmerzlichen Wahrheit" - erneut in einem Aufsatz über den "überraschend günstigen Verlauf der ersten auf dem Kontinente unter Cocain vorgenommenen Morphinentziehung" (S. 123) berichtete? Die Antwort lautet: überhaupt nicht - er teilt es dem Leser erst gar nicht mit. Vorenthalten wird diesem auch, übrigens neben vielem anderen, ein aufschlußreiches Zitat aus einem Brief Freuds an seine Verlobte vom 10. März 1885, wo es - wieder einmal - darum ging, den wohlhabenden Fleischl um Geld anzugehen: "Ich bin eigentlich neugierig, ob er mir was leihen wird. Wenn, so dürfte er nicht mehr da sein, zur Zeit, da wir an’s Zahlen denken dürfen."

Dieser Brautbrief vom 10. März 1885 ist auch Bestandteil der bereits erwähnten Auswahl aus dem Jahre 1960. Der letzte Satz allerdings, in dem Freud der verpfuschten Behandlung seines Freundes und Kollegen Fleischl wenigstens noch eine für ihn positive Seite abgewinnt, findet sich dort in Gestalt von drei Punkten.

Hirschmüller steht mit seiner Darstellung der Ereignisse um Fleischl - sowie der ganzen "Kokainepisode" bei Freud - in einer langen Tradition freudianischer Geschichtsschreibung, der es seit Jones und Bernfeld eher um die Entwicklung, Pflege und Instandhaltung einer Heiligenlegende als um die ehrliche, unvoreingenommene Aufarbeitung eines Stücks Medizingeschichte geht.

Ein gutes Beispiel für einen dementsprechenden Umgang mit dem historischen Quellenmaterial stellt auch der deutsche Psychoanalytiker und Autor eines Drogen-Handbuchs, Jürgen vom Scheidt (1973), dar, bei dem es über die Kokainbehandlung Fleischls heißt: Freud "verschrieb im Mai 1884 das Alkaloid [Kokain; GB] seinem Freund und Vorbild Ernst von Fleischl-Marxow und heilte ihn - wie er noch 1887 meinte - vom Morphinismus. Erst einige Jahre später merkte er entsetzt, daß er den Freund nur in eine neue Sucht gelenkt und seinen Untergang beschleunigt hatte."

Diese Darstellung entspricht nicht der Wahrheit: die Briefe Freuds machen deutlich, daß diesem nicht erst einige Jahre nach 1887, sondern bereits zwei Jahre davor das ganze Ausmaß dessen bewußt geworden war, was er bei Fleischl angerichtet hatte. Mehr noch: auch vom Scheidt wußte dies. Denn nur wenige Seiten später heißt es bei ihm, Freud spreche in einem Brief an Martha vom April 1885 "auch noch von einem Besuch bei Fleischl - der verehrte Freund war 1885 bereits in so hohem Grade kokainsüchtig, daß er pro Tag ein ganzes Gramm der Droge zu sich nehmen mußte. Nur wenige Wochen nach dem obigen Brief kam es im Beisein Freuds zu einer Krise, die für den Kokain-Forscher zur ‘furchtbarsten Nacht seines Lebens’ (Jones) wurde." (vom Scheidt 1973, Hervorhebung von mir).

Einen anderen Weg der Reinwaschung Freuds vom Makel der Scharlatanerie und Kurpfuscherei schlug der Wiener Psychoanalytiker Eberhard Haas (1983) ein. Ihm zufolge könne von einer "Lüge" Freuds bei seinem Bericht über den Verlauf der Kokainbehandlung Fleischls überhaupt keine Rede sein, denn Freud spreche im Einleitungsteil seiner Kokainschrift aus dem Jahre 1887 keineswegs "von Heilung, sondern von ‘Entziehungskur’ oder ‘Morphinentziehung’. ‘Ich meine die Brauchbarkeit des Cocain zur Bekämpfung des Morphinhungers und der beängstigenden Kollapserscheinungen, welche bei Morphinisten während der Entziehungskur auftreten.’ Freud meint also ausdrücklich die Entzugsbehandlung, oder wie man heute auch sagt, die Entgiftung. Diese ist die Voraussetzung für eine anschließende Behandlung mit dem Ziel der dauerhaften Abstinenz und nicht schon die Heilung selbst." Mit dieser Unterscheidung zwischen "Heilung" und "Entziehung" steht Haas allerdings sogar unter den verbissensten Freud-Apologeten allein da.

Angesichts der erdrückenden und für die Person Freuds wenig schmeichelhaften Quellenlage kann man verstehen, daß es psychoanalytisch orientierten Freud-Biographen schwerfallen muß, dem interessierten Publikum die ganze Wahrheit über ihr Idol mitzuteilen. Der oben skizzierte Umgang mit dem Quellenmaterial mag jedoch bestenfalls die wissenschaftlichen Dilettanten unter ihnen entschuldigen, denen der Unterschied zwischen einer Hypothese und einer Tatsache verschlossen geblieben ist, nicht aber einen so ausgewiesenen Historiker wie Albrecht Hirschmüller. Er weiß sehr wohl um diesen Unterschied, und er kennt die Fakten. Und er weiß auch genau, welche Fakten er unterschlagen, in Zweifel ziehen oder umdeuten muß, um den Glorienschein Freuds nicht in Gefahr zu bringen. Insofern ist sein Essay ein Betrug an seinen Lesern, indem er ihnen wesentliche Informationen - über die er selbst verfügt - vorenthält, Informationen, die ihnen erst das ermöglicht hätte, was Hirschmüller ihnen am Anfang seiner Abhandlung noch selbst verspricht: ein eigenes Urteil. So wurde bei der Edition der Kokainschriften eine einmalige Chance vertan, mehr über die Hintergründe jener Periode im Leben Freuds - und damit auch über die Ursprünge der Psychoanalyse - zu erfahren. Denn wie schon Freud selbst 1923 ganz richtig bemerkte: "Man versteht die Psychoanalyse immer noch am besten, wenn man ihre Entstehung und Entwicklung verfolgt."

Literatur

Bernfeld, Siegfried (1953), "Freud's Studies on Cocaine, 1884-1887". Journal of the American Psychoanalytic Association 1, Nr. 4, Oktober 1953, S. 581-613.
Freud, Sigmund (1960), Briefe 1873-1939. Herausgegeben von Ernst (und Lucie) Freud. Frankfurt am Main.
Haas, Eberhard (1983), "Freuds Kokainepisode und das Problem der Sucht". Jahrbuch der Psychoanalyse, Bd 15, S. 171-228.
Israëls, Han (1993), Het geval Freud. Amsterdam (auf deutsch: Der Fall Freud. Die Geburt der Psychoanalyse aus der Lüge. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt, 1999).
Jones, Ernest (1953), The Life and Work of Sigmund Freud: Volume I - The Formative Years and the Great Discoveries 1856-1900. New York.
Scheidt, Jürgen vom (1973), "Sigmund Freud und das Kokain". Psyche 27, S. 385-430.

Gerd Busse
Juli 2000

Ursprünglich auf Niederländisch erschienen unter dem Titel "Bedwelmde geschiedenis. Freuds ‘cocaïne-episode" in: Psychologie en Maatschappij 22, Nr. 3, 1998, S. 292-297.

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