Ernst Klee: Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer. Verlag S. Fischer,
Frankfurt/Main 1997, 526 S., DM 58,00
Die Nazi-Machthaber boten ihren Ärzten etwas noch nie dagewesenes, und
deshalb verlockendes: Unbehelligt von ethischen Erwägungen konnten sie
Menschen zu Versuchszwecken unbegrenzt verbrauchen. Die Insassen der
Konzentrationslager und der Psychiatrie wurden das Material, das den
Tätern im Ärztekittel zu unvorstellbaren Experimenten nach Belieben zur
Verfügung stand.
Die "Forschung" war bewußt auf den Tod der Opfer ausgerichtet, betont
der Medizinhistoriker und Psychiatriekritiker Ernst Klee in seinem
neuesten Buch "Auschwitz, die NS-Medizin und ihre Opfer". Die
tatsächlich Kranken in den Lagern hingegen erhielten kaum je eine auch nur
minimale medizinische Betreuung, vielmehr ließ man sie verhungern und an
den grassierenden Krankheiten eingehen. "Die Medizin in den KZs dient
nahezu ausschließlich der Ausrottung der Häftlinge", schreibt er.
Mit diesem Buch legt der 1942 geborene Klee eine umfassende
Dokumentation der medizinischen Verbrechen im "Dritten Reich" vor. Dies
beschämendste Kapitel der deutschen Medizin ist seit den 70er Jahren gut
erforscht worden; Klee zieht die Summe aus diesen Bemühungen. Die
Lektüre der Torturen, die sich deutsche Ärzte ausdachten, um an
"lebendfrisches Untersuchungsmaterial" zu kommen, ist deprimierend. In
knapper Form wechseln sich Einzelbiographien mit der Dokumentation des
historischen Materials ab. Klee belegt alle Verbrechen genau.
Ebenso erbittert, daß sich viele der beteiligten Ärzte nach dem Krieg in
eigener Praxis niederließen oder in anderen ehrbaren Positionen
arbeiteten, als sei nichts geschehen. Allerdings wurden auch etliche
KZ-Ärzte von alliierten Gerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Klee verzichtet völlig darauf zu erklären, was die Täter zu den
beschriebenen Greueltaten trieb. Das ist vielleicht der größte Mangel
dieses ansonsten ausgezeichneten Buches, das als neues Standardwerk zur
NS-Medizin und ihrer Opfer bezeichnet werden kann. Ein ausführliches
Sach- und Personenregister runden den guten Eindruck ab.
Gerald Mackenthun, Berlin
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