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Rattner, Josef: Nietzsche. Leben – Werk – Wirkung, Würzburg 2000, Verlag Königshausen & Neumann, 399 Seiten


„Alles Freuen ist ein Loben“. Dieses Nietzsche-Wort könnte als Motto dem umfangreichen Text vorangestellt sein. Rattner spricht selbst von der „Verehrung und Hochschätzung“, die seit seinen Jugendtagen seine Auseinandersetzung mit Nietzsche begleitet haben. Das ist dem Text deutlich anzumerken, der als eine wunderbare Einführung in Leben und Werk und eben auch Wirkungsgeschichte Nietzsches gelesen werden kann. Endlich sind die über die Jahre in der Zeitschrift „miteinander leben lernen“ und im von Rattner herausgegebenen und verfassten „Jahrbuch für Verstehende Tiefenpsychologie und Kulturanalyse“ verstreuten Texte in einer Monographie zusammengefasst.

Der Text gliedert sich in fünf Kapitel. Beginnend mit der Biographie Nietzsches, die in behutsamer Schilderung den Menschen lebendig werden lässt. Schon von Jugend an mit Kopfschmerzen und einer prekären Konstitution versehen, ringt Nietzsche seine philosophischen Leistungen dem Leben ab. Die wichtigsten Stationen werden geschildert, einschließlich der problematischen Seiten in Nietzsches Persönlichkeit (etwa seine „patriotische Krankheit“ oder schließlich die Wahnerkrankung).

Auf rund 90 Seiten werden im zweiten Kapitel auch dem philosophischen Laien die Werke Nietzsches nahegebracht und in ihren wichtigsten Gedanken dargestellt. Überall wird der „große Psychologe“ und Kulturkritiker transparent, woran die Verfälschungen, die Nietzsches Schwester („das Lama“) besonders am Nachlass des großen Denkers vorgenommen hat, nichts ändern konnten. Inzwischen sind sie, Dank einer kritischen Nietzscheforschung, weitgehend korrigiert. Der besonders leidige und häufig faschistisch ausgeschlachtete Gedanke vom „Übermenschen“ wird von Rattner eher im Sinne einer Überwindung menschlicher Charakterschwächen verstanden, hin zu einem „Adel des Geistes“. Unwillkürlich war ich an den Witz vom Kongress der Evolutionsbiologen erinnert, die auf ihrer Tagung das „missing link“ suchten, jener Entwicklungsstufe der Primaten, welche die Lücke zwischen Affe und Mensch schließen kann. Plötzlich stand einer der Teilnehmer auf und behauptete, er hätte es gefunden. In die atemberaubende Stille folgt dann die Mitteilung: „Wir sind es!“

Im dritten Kapitel lernen die Leser die geistigen Väter Nietzsches, wie auch Zeitgenossen und Nachfahren kennen. Der weit gespannte Bogen führt von den Vorsokratikern (Heraklit, Empedokles u.a.) über die europäischen Moralisten (Montaigne, Gracian, La Rochefoucauld u.a.), Goethe, natürlich den Zeitgenossen J. Burckhardt, zu Freud, Adler und schließlich Rilke und Th. Mann. Es ist kaum möglich, in einer kurzen Rezension die Breite und Tiefe der Darstellung auszuschreiten oder auszuloten. Sie ist aber immer fesselnd und kann wegen ihres Inhaltsreichtums mit Gewinn mehrfach gelesen werden.

Wahrscheinlich sind selbst Fachleute der philosophischen Disziplin nicht in der Lage, die Nietzsche-Literatur zu überblicken. Rattner gibt im vierten Kapitel einen Einblick, so dass, dem, der sich intensiver mit Nietzsche beschäftigen möchte, ein Leitfaden in der Darstellung rund 15 ausgewählter Bücher für den Einstieg zuwächst.

Das fünfte Kapitel beschließt den vorliegenden Text mit einem Vortrag („Nietzsche als Erzieher“) erstmals 1993 veröffentlicht und zwei Interviews mit Rattner, in denen er in freier Form nietzscheanisches Denken zelebriert. Der Interviewpartner ist nicht genannt, so dass leicht an ein fiktives Interview gedacht werden kann, in dem Stichworte Rattner Gelegenheit geben, aus seinem stupenden Wissenspool zu schöpfen.

Im Ganzen eine großartige Textsammlung, deren Lektüre nicht nur für einen Psychotherapeuten von großem Gewinn ist.

Bernd Kuck, Bonn   
Januar 2003

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Nietzsche. Leben, Werk, Wirkung.

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