Torberg, Friedrich: Der
Schüler Gerber (Roman) dtv, 292 Seiten.
1930 veröffentlichte Torberg (1908 –
1979) seinen Erstlingsroman, noch ganz unter dem Eindruck des
eigenen, nicht bestandenen Abiturs. Max Brod las das Manuskript des
21-Jährigen und vermittelte es, ohne das Wissen des Autors, an
den Zsolnay Verlag und es wurde ein großer Erfolg. Sicherlich
sprach der Roman viele Menschen an, die sich an ihre eigenen
Schulerfahrungen erinnerten, an die geradezu absolutistische Macht im
grunde kleingeistiger „Professoren“, wie die Lehrer in
Österreich sich nennen durften.
Der Schüler Gerber
steht in einem größeren Konfliktfeld. Zunächst ist er
ein eher frühreifer junger Mann, der die Allüren der Lehrer
sehr wohl durchschaut, selbst aber aus einer Trotzhaltung nicht
herausfindet. In seinem letzten Schuljahr nun trifft er auf einen
„Klassenvorstand“, der hemmungslos seine sadistische Ader
auslebt, ja dessen einziger Lebensinhalt darin besteht, ungehemmt
seinen Machtwahn auszuleben. Der Schüler Gerber ist ihm schon
als „aufsässig“ bekannt und sein Ehrgeiz besteht
darin, diesen jungen Mann fertig zu machen.
Von „Professor
Kupfer“, von den Schülern „Gott Kupfer“
genannt, zeichnet Torberg in kurzen Passagen das Charakterbild eines
Machtmenschen, der ohne die Möglichkeit seines Despotismus
jeglichen Sinn im Leben verlieren würde.
„Nach den leeren zwei
Sommermonaten – leer, weil er als Mensch unter Menschen
gewandelt war und nicht als Gott unter Schülern, weil er keinen
vor seiner Allgewalt erbeben machen konnte, weil das viele, das er
sah, sich nicht in die Norm seiner Herrschbedürfnisse zwingen
ließ – nach dieser Verbannung stürzte er sich mit
allen Sinn in sein wiedererstandenes Reich. Das erste 'Setzen' war
ihm ein glühender Genuß gewesen, er hatte es vorher mit
Gaumen und Zunge und Lippen umzärtelt wei einer, der aus einem
Pfirsichkern die letzten Fasern der Frucht saugt, ehe er ihn
ausspuckt.“
Gerber ist im Kampf mit dem Despoten – die
zwölf Kapitel des Romans muten wie die zwölf Runden eines
Boxkampfes an, in denen es um den KO-Sieg eines der Beteiligten geht
– aber nicht nur durch seinen jugendlichen Trotz, seine nur
schlecht kaschierte Feinsinnigkeit und seine lückenhaften
Kenntnisse in Mathematik und Darstellender Geometrie geschwächt
(„Gott Kupfer“ unterrichtet diese Fächer), sondern
zusätzlich durch die unerfüllte Liebe zu einer letztlich
liebesunfähigen ehemaligen Mitschülerin, sowie durch die
Herzkrankheit seines Vaters, der von jeglicher Aufregung verschont
werden muss. Zugleich hängt für Gerber die Anerkennung des
Vaters vom Bestehen des Abiturs ab. Von der schwachen Mutter ist auch
keine Hilfe zu erwarten, so dass Gerber zwischen all diesen
Konfliktfeldern aufgerieben wird.
Der Roman ist in einem ältlichen Stil
geschrieben, woran sich der heutige Leser erst etwas gewöhnen
muss. Und doch gibt er einen guten Einblick in das Innenleben eines
Adoleszenten und eines vom Machtwahn getrieben Despoten in
Kleinformat.
Bernd Kuck
Bonn, November 2006
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